Was ist Coaching?
Zunächst einmal "kein schönes Wort", meint Friedemann Schulz von Thun* und frägt: "Haben wir nicht schon genug von all den Anglizismen, von jenen geistigen Fertigwaren, die bei uns als begriffliche Hoffnungsträger für Innovation und Modernisierung herhalten müssen?" Aber trotz (oder wegen?) dieses unschönen Begriffes "hat sich in den letzten 20 Jahren eine neue Qualität von Beratung und beruflicher Förderung herausgebildet, die tatsächlich eine Verheissung enthält: dass ich in Zeiten schwerwiegender und verunsichernder beruflicher Herausforderungen ganz individuell wirksame Hilfe bekommen kann".
Der amerikanische Psychiater und Coach Ben Dean fasst das Wirkungsfeld des Coachings weiter: "Ganz normale Menschen suchen die Hilfe von Coaches, um ihre Kreativität zu erweitern, Gewicht zu verlieren, einen Lebenspartner zu finden, mehr Sinn und Tiefe ins Leben zu bringen." Wie Psychotherapie hilft Coaching wichtige Lebensveränderungen einzuleiten, doch sieht Dean einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden Hilfsangeboten: " Coaching befreit die Therapie von ihrem medizinischen, pathologischen Hintergrund und konzentriert sich auf die menschlichen Stärken, positiven Leidenschaften und die Kraft von ungenutzten Möglichkeiten." Auch Friedemann Schulz von Thun hofft, dass „Coaching" trotz klangtechnischer Ähnlichkeit wirkungsvoll helfen kann, endlich von der Couch loszukommen." In der Vergangenheit fand er es immer ärgerlich, dass die Couch - "dieses Liegemöbel von Sigmund Freud" - in der Öffentlichkeit untrennbar mit psychologischer Tätigkeit verbunden ist. "Ob wir Lehrerkollegien oder politische Fraktionen beraten haben, immer stand hinterher in der Presse Lehrer auf der Couch! oder (schlimmer noch), X-Partei musste auf die Couch!" Damit, so Schulz von Thun, wird nicht nur ein falsches Bild von der Tätigkeit psychologischer Berater vermittelt, auch der Klient "kommt in den Geruch, pathologisch zu sein, seine Neurosen erst bearbeiten zu müssen, bevor er wieder auf die Menschheit losgelassen werden kann“.
Coaching setzt den Akzent nicht auf die Defizite eines Menschen. sondern auf seine Stärken - und das wiederum stärkt offensichtlich auch den Berater. Zunehmend satteln Psychotherapeuten auf Coaching um - manche, weil sie es müde sind, sich tagtäglich und über lange Zeit mit Schmerz und Leid zu befassen, andere, weil sie in diesem Beratungsfeld eine lukrative Einnahmequelle sehen. Die meisten Experten aber sind von dieser Form der Beratung überzeugt, weil sie Hilfe zur Selbsthilfe anbietet und sich an den Ressourcen und Möglichkeiten des Klienten orientiert. Kein Wunder, dass der Markt der Anbieter rasant wächst. Nach Berechnungen der International Coach Federation (ICF) ist in den USA die Zahl der Coaches in den Jahren 1998 bis 2001 von 5000 auf 15000 gewachsen, die Mitgliederschar der ICF ist innerhalb eines Jahres sprunghaft um 50 Prozent angewachsen.
Der Coach ist in erster Linie wichtig als Zuhörer und Feedbackgeber, als Motivator und als Mentor. Als wichtigste Ergebnisse des Coachingprozesses kann man die Stärkung des Selbstbewusstseins, besser Ziele setzen zu können, eine grössere Balance im Leben zu haben, mehr Selbstvertrauen, Verbesserung der Lebensqualität" und "besseres Stressmanagement nennen.
Unsere Erfahrung ist, dass tatsächlich ein großer Bedarf an Coaching besteht. Die Berufswelt ist in den letzten Jahren zunehmend unübersichtlich geworden, und die Entwicklungen vollziehen sich in einem immer schnelleren Tempo. Es ist schwierig für die Einzelnen, vor allem für Führungskräfte, sich in dieser Situation zurechtzufinden. Von daher ist die individuelle Arbeit, die das Coaching ermöglicht, sehr aktuell.
Bei der Frage, was Führung bedeutet, hat es einen starken Wandel gegeben. Die lange gültige hierarchische Vorstellung von Führung - der da oben sagt, was zu geschehen hat, und die unten folgen - ist sehr modifiziert worden. Führungskräfte stossen heute auf Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die nicht mehr so wie früher bereit sind, sich anzupassen. Ein Vorgesetzter muss heute ein Verständnis von Führung haben, das die Bedürfnisse und die Situation des Einzelnen stärker berücksichtigt. Deshalb ist Führen komplizierter geworden. Es geht weniger nach Schema F, sondern ein Vorgesetzter muss sich auf konkrete Situationen und konkrete Menschen einlassen.
Inzwischen brauchen Führungskräfte mehr soziale Kompetenzen, als das früher der Fall war. Nur Menschen, die auch im zwischenmenschlichen Umgang kompetent sind, sind gute Führungskräfte. Die strategische Orientierung und die fachliche Kompetenz allein reichen heute nicht mehr aus.
Auch die „Emotionale Intelligenz (ist ein Modewort und teilweise in Verruf geraten) ist wichtig. Was damit aber gemeint ist, ist etwas Wichtiges. Realität ist doch, dass Emotionen immer und überall eine Rolle spielen. Es kann nur von großem Nutzen sein, wenn ich mit Gefühlen, meinen eigenen und den Gefühlen anderer, angemessen umgehen kann. Das meint "emotionale Intelligenz". Und das ist sicher auch ein mögliches Ziel von Coaching. Wenn wir uns anschauen, welche Kompetenzen neben dem Fachwissen heute von Führungskräften verlangt werden - also zum Beispiel strategische Kompetenz, Veränderungskompetenz, interkulturelle Kompetenz, innere Unabhängigkeit - dann wird deutlich: Führungsaufgaben sind heute nur noch von entwickelten Persönlichkeiten zu leisten. Insofern ist der angemessene Umgang mit Gefühlen auch ein wichtiger Gegenstand des Coachings.
Coaching ist personbezogene Beratung für Menschen im beruflichen Feld zu sehen. Es geht um drei Bereiche: erstens um die Person - Thema kann zum Beispiel sein: Wie kann ich dafür sorgen, dass mein Privatleben nicht zu kurz kommt? Zweitens geht es um die berufliche Rolle: Wie fülle ich meine Funktion aus, welche Fähigkeiten muss ich entwickeln? Und drittens geht es um die berufliche Rolle in einem bestimmten beruflichen Kontext: Wie funktioniert das System, von dem ich ein Teil bin? Coaching unterstützt Menschen also darin, ihre Berufsrolle mit ihrer Person in Einklang zu bringen.
Hier ein Beispiel: Schauen wir uns doch einmal an, wie jemand heute Führungskraft wird: Da ist zum Beispiel ein guter Gruppenleiter, der in dieser Funktion jedoch bislang keine Personalverantwortung hatte. Dieser Gruppenleiter wird aufgrund seiner: Leistungen zum Abteilungsleiter befördert und steht plötzlich vor ganz neuen Aufgaben. Auf diese Aufgaben kann er sich nur begrenzt im vor hinein vorbereiten. Das ist vergleichbar mit der Ehe: Eine konkrete Vorbereitung darauf ist kaum möglich, weil die Menschen, bevor sie verheiratet sind, nicht genau wissen, welche Probleme auf sie zukommen werden. Sie müssen erst konkrete Erfahrungen machen, ehe sie etwas lernen können. Eine gute Ehe führen und Mitarbeiter führen - beides lernt man erst im Laufe der Zeit durch Erfahrung. Das Lernen setzt erst mit dem Tun ein. Coaching ist ein idealer Begleiter für diesen Prozess.
Was, wenn der Coach feststellt: Diesem Klienten fehlen grundlegende Fähigkeiten, aus diesem Mitarbeiter wird auch durch Coaching keine, gute Führungskraft? Das kann vorkommen. Natürlich braucht es für Führungsaufgaben menschliche Voraussetzungen, die man nicht einfach schaffen kann, wenn Grundlagen dafür nicht da sind. Wem wichtige Eigenschaften fehlen, der kann sie auch durch Coaching nicht erwerben. In so einem Fall ist es wichtig, dass der Coach das offen anspricht. Hier spielt Vertraulichkeit eine grosse Rolle. Der Coach wird dies ganz sicher nicht dem Vorgesetzten des Klienten mitteilen dürfen. Denn dann wäre die Grundvoraussetzung fürs Coaching - die Vertraulichkeit - nicht mehr gegeben. Aber der Coach wird dem Betreffenden ein klares Feedback geben, ihm seine Meinung mitteilen und mit ihm klären, ob diese Aufgabe wirklich die richtige ist.
In vielen Fällen wird der Coachingprozess vom Arbeitgeber initiiert und auch finanziert. Ist ein Coach verpflichtet, den Arbeitgeber über den Coachingverlauf zu informieren? Es wird von vornherein mit der Firma abgesprochen, dass nichts Inhaltliches aus dem Coachingprozess rückgemeldet wird. Das würde die Möglichkeit des Coachings zerstören. Der Klient kann sicher sein, dass die Gespräche vertraulich ablaufen. Es wird dem Auftraggeber nur zurückgemeldet: Der Coachingprozess mit Herrn oder Frau X ist jetzt abgeschlossen. Und es wird mit dem Klienten besprochen, welche Informationen er dem Vorgesetzten weitergeben möchte.
Es geht im Coaching ja nicht nur um Defizite, sondern vor allem um die Weiterentwicklung der Person. Wir erleben häufig, dass Klienten das Coaching als Entwicklungschance begreifen. Sie fühlen sich nicht unter Beobachtung durch ihre Vorgesetzten, sondern haben eher das Gefühl, dass sie dadurch gefördert werden.
Die Frage der Fremd- oder Eigenmotivation an. Ich lasse mich auf keinen Coachingprozess ein, bei dem ich nicht deutlich sehe, dass der Klient auch selbst motiviert ist. Denn die Eigenmotivation ist eine wichtige Voraussetzung für das Coaching. Wenn der Klient keinen Sinn in der Beratung sieht, dann sollte kein Coaching durchgeführt und der Auftrag zurückgegeben werden. Coaching kann immer nur Hilfe zur Selbsthilfe sein.
In den 70er Jahren war es unter Psychologen und Psychologinnen noch weitgehend verpönt, psychologisches Wissen in den Dienst von Unternehmen zu stellen. Man würde damit Arbeitnehmer nur funktionsfähig machen und unter Umständen an krankmachende Systeme anpassen, so lautete die Kritik. War dieses Argument aus heutiger Sicht falsch?
Diese Kritik ist heute sehr viel seltener zu hören als früher. Vielleicht sind wir sogar ein wenig zu unkritisch geworden. Natürlich kann Coaching in diesem Sinn missbraucht werden. Aber viele Betriebe bemühen sich heute darum, den Menschen als Ganzes zu sehen. Ist das der Fall, dann ist Coaching ein Element der Humanisierung der Arbeitswelt, weil es ja immer auch um folgende Fragen geht: "Wie kann ich mich besser gegen Überbeanspruchung schützen?" Oder: "Wie kann ich mit weniger Kraftaufwand dieselben Effekte erzielen?" Oder: "Wie komme ich mit meinen Mitarbeitern besser klar?" Oder: "Wie schaffe ich es, weniger seelische Energie aufzuwenden, um erfolgreich zu sein?" Das heisst: Coaching kommt auch dem Einzelnen zugute. Von daher kann man den Nutzen für den Einzelnen und den Nutzen für den Betrieb nicht in Gegensatz setzen. Vielmehr gilt: Was dem Einzelnen nützt, ist auch für das Unternehmen ein Gewinn und umgekehrt. Beide profitieren.
Der Begriff Coaching kommt aus den USA und meint dort ursprünglich einen neuen Führungsstil: Im Gegensatz zur Führungskraft, die einfach nur anordnet, wird der oder die Vorgesetzte auch als Berater der Mitarbeiter gesehen. Coaching hat hier eine andere Bedeutung als im deutschen Kontext. Wir verstehen darunter Beratung im beschriebenen Sinn und diese Funktion kann eine Führungskraft nicht haben, denn sie bleibt entscheidungsbefugt und hat Personalverantwortung. Das verträgt sich nicht mit einer Beraterfunktion.
Zunehmend qualifizieren sich Personalmitarbeiter fürs Coaching. Damit sind aber bestimmte Schwierigkeiten verbunden. Zunächst: Der Prophet gilt im eigenen Land nicht so viel, man traut oft einem Externen mehr zu als einem Internen. Weiter besteht die Gefahr, dass ein Interner möglicherweise irgendwann zum Vorgesetzten des Gecoachten werden kann. Bei internem Coaching ist sehr darauf zu achten, wie es organisatorisch eingebunden ist. Es sollte möglichst nicht mit ordnungspolitischen Funktionen gekoppelt sein. Die internen Coachs brauchen eine "quasi externe" Sonderstellung im Betrieb.
Wie lange dauert eine Beratung? Mindestens drei bis maximal 15 Termine. Dabei ist das Ganze eine niederfrequente Beratung, das heisst, man trifft sich nur alle vier bis sechs Wochen. Der einzelne Termin dauert länger, als man es von einer psychologischen Beratung gewohnt ist, nämlich eineinhalb bis zwei Stunden. Dadurch erstreckt sich das Ganze über ein Vierteljahr bis eineinhalb Jahre. Coaching ist eine Kurzzeitberatung, eine fokussierte und zielorientierte Beratung.
Die Vergangenheit hat auch im Coaching einen Platz. Es kann durchaus sinnvoll sein, zurückzuschauen. So kann zum Beispiel ein Klient der Frage nachgehen, warum ihn ein bestimmter Mitarbeiter so wahnsinnig aufregt. Und er entdeckt: Im Kontakt mit diesem Mitarbeiter re-inszeniert er eine alte Familiensituation, die früheren Gefühle steigen hoch und kommen ihm in die Quere. Sobald man diesen Hintergrund versteht, kann man besser damit umgehen. Deshalb kann es durchaus sinnvoll sein, für eine Veränderung auch auf der Verhaltensebene in die Vergangenheit zu blicken und nach den Wurzeln dieses Verhaltens zu fragen. Das hat noch nichts mit Therapie zu tun, sondern dient einfach dem Verständnis einer bestimmten Situation.
Grundsätzlich sollten Klienten sich folgende Frage stellen: Bin ich von dem Coach überzeugt? Ist das ein Mensch, der eine Show abzieht, oder ist es ein Mensch, der mich aufgrund seiner Reife überzeugt? Es geht ja immer auch um persönliche Fragen. Wenn der Berater keine gereifte Persönlichkeit ist, wird der Prozess zum Scheitern verurteilt sein. Auf der fachlichen Ebene sollte ein Coachee etwas von Systemtheorie, Kommunikationspsychologie und individueller Psychodynamik verstehen. Es gibt natürlich so etwas wie Naturbegabungen, also für Beratung begabte Menschen, die über so viel Empathie und Klugheit verfügen, dass sie durchaus auch schon in jungen Jahren sehr fähige Berater sein können. Generell sollte ein Coach ein gewisses Mass an Lebenserfahrung haben, um einen anderen Menschen hilfreich begleiten zu können.
Coaching ist dann erfolgreich, wenn das vereinbarte Ziel erreicht wird. Zu Beginn des Beratungsprozesses werden klare Ziele ausgehandelt - und diese Ziele sind ein Kriterium dafür, ob ein Prozess erfolgreich abgeschlossen ist. Allerdings können sich die Ziele im Laufe eines Prozesses auch verändern. Dann muss dies natürlich deutlich gemacht und reflektiert werden.